Brexit between the lines:
Texten, Übersetzen und den Brexit von Berlin aus bekämpfen (English)
33 Tage nach dem Brexit
Ich wurde schon vor dem Brexit öfter gefragt, was ich denn von ihm halte. Dieses Bild sagt bereits viel über mein Empfinden gegenüber dem Brexit aus. Aber als Texterin weiß ich auch, ausdrucksvolle Bilder mit Wörtern zu verbinden.
Der Brexit ist jetzt leider vollzogen. Trotz der vielen Bemühungen von mir und vieler meiner Landesleute und EU-Freunde im UK, Deutschland und überall in Europa, wie u. a. British in Europe, British in Germany und deren Schwesterverein the3million im UK.
Wie der rbb am Tag des Brexits berichtete, bin ich eine „überzeugte Europäerin“. Ich habe in drei EU-Ländern (einschließlich dem UK) gelebt, dort studiert und freiberuflich gearbeitet. Ich wollte nicht, dass wir die EU verlassen. Ich wollte nicht, dass meine jüngeren Landsleute auf der großen Insel nicht mehr dieselben Chancen haben werden, die für meine Laufbahn und meinen Erfolg als Übersetzerin und Texterin entscheidend waren. Es ist eine Schande!
Boris an der Macht
Am frühen Morgen des 14. Dezember 2019 folgte der Schock. Boris Johnson und seine Konservativen erhielten die überwiegende Mehrheit in der vorgezogenen Wahl zum britischen Unterhaus. Allerdings mit nur 46 % Prozent der Stimmen. Dabei hatten 53 % der Wähler für Parteien gestimmt, die ihnen noch einmal die Chance geben wollten, sich umentscheiden zu können. Dabei sind viele Menschen erst gar nicht wählen gegangen. Sie wissen, dass es unter dem britischen Mehrheitswahlrecht in vielen Gegenden einfach zwecklos ist. Denn nur der Kandidat mit den meisten Stimmen bekommt alles, die anderen scheiden aus.
Erinnerungen an 2016
Diese Art von Schock, gefolgt von tiefer Trauer erlitt ich 2016 schon einmal. Nämlich nachdem das britische Volk am 24. Juni 2016 überraschend feststellen musste, auf was sie sich da eingelassen hatten. Ich war zu der Zeit auch dort, genauer gesagt in Brighton. Schließlich verbringe ich mindestens sechs Wochen im Jahr in meiner gebürtigen Heimat. 2016 war da keine Ausnahme. Ich erinnere mich noch an diesen Horror, diese Angst und wie ich in der Bahn und bei jedem Umsteigen auf dem Weg zu meinen Eltern in Cornwall die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Ab und zu hatten auch andere geweint oder waren dagegen ganz still. Waren das etwa Brexit-Befürworter? Hatten sie mir das angetan? So begann die politische Spaltung meines Geburtslandes …
Kampf gegen den Brexit
Nach der knappen Niederlage, den sogenannten 48 %, hatte ich zusammen mit anderen regelrecht getrauert. Aber gleichzeitig auch angefangen, mich gegen den Brexit zu engagieren. Am Anfang hauptsächlich online, fand ich schnell Anschluss auf Twitter und Facebook. Remainer, #FBPE (follow back, pro Europe) oder einfach „Europeans“: Wie auch immer wir uns bezeichneten, wir hatten uns gefunden.
Kurz nach dem Volksentscheid 2016 gab es die ersten Demos. Ich war damals in Cornwall zu Besuch. Es gab einige sehr große Demos gegen den Brexit, wie z. B. in London. Ich besuchte im Laufe der Zeit den Unite for Europe March am 25. März 2017, den People’s Vote March for the Future am 20. Oktober 2018, den Put It to the People March am 23. März 2019 und zuletzt den Let Us Be Heard March am 19. Oktober 2019.
Brits in Germany together
In dieser Zeit hatte ich auch meine neuen Mitkämpfer kennengelernt, Freundschaften geschlossen und neue Kontakte geknüpft. Eine Gruppe davon ist British in Germany e. V. hier in Berlin. Es gibt immer noch regelmäßige Stammtische, hauptsächlich von Rachel und Sara organisiert. Unterstützt werden diese beiden von Aaron, Daniel und mir. Dort besprechen wir gemeinsam die Themen des Tages und stehen uns gegenseitig, sowohl emotional als auch praktisch mit Rat und Tat zur Seite.
Am 07. September 2019 fand am Brandenburger Tor die „Stop The Coup“-Kundgebung statt. Es war die bis dahin größte Kundgebung gegen den Brexit und gegen das undemokratische Verhalten von Boris Johnson außerhalb des UK. Ich konnte diese Kundgebung aktiv mitgestalten. Vor allem Mitglieder von British in Germany e. V., aber auch Mitstreiter von Facebook und Twitter engagierten sich richtig stark.
Falls Sie mehr über diese Kundgebung lesen wollen, dann klicken Sie auf den gelben Button:
Das war eine Woche voller Arbeit, was ich als Selbstständige halbwegs hinbekommen konnte. Aber darauf folgte noch eine komplette zweite Woche. Danach war ich richtig erschöpft und wurde kurzzeitig etwas krank. Zudem musste ich ja noch einiges an Arbeit für meine – zum Glück verständnisvollen – Kunden nachholen.
Heirat und …
Der Hintergrund dieser Geschichte ist schön, aber auch stressvoll zugleich. Wie einige von Ihnen vielleicht schon wissen, hatte ich im September 2016 meinen deutschen (damals noch) Freund René geheiratet. Um eines bereits vorweg zu nehmen: Es handelte sich dabei um keine Scheinehe, da wir sowieso vorhatten zu heiraten und schon lange vor der Brexit-Wahl über das Heiraten gesprochen hatten. Wir waren davor bereits vier Jahre zusammen und hatten auch in einer gemeinsamen Wohnung gelebt. Wir mussten uns aber mit dem Heiraten beeilen, da ich damals nicht lange genug in Deutschland gelebt hatte, um vor dem Brexit die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen zu können.
… Einbürgerung
Vor dem Abschluss des Brexit-Übergangs-Gesetzes war mir aber noch nicht klar, ob ich mich bereits vor dem Brexit einbürgern lassen und somit die doppelte Staatsbürgerschaft beantragen kann. Schließlich erlaubt Deutschland im Normalfall keine doppelten Staatsbürgerschaften mit nicht-EU-Ländern, in denen es auch möglich ist, die ursprüngliche Staatsbürgerschaft aufzugeben. Sechs Jahre hätte ich ohne Heirat gebraucht. Das wäre im Herbst 2018 gewesen. Aber keiner konnte mir damals versprechen, dass ich mich über diesen privilegierten Weg der „besonderen Integrationsleistungen“ einbürgern lassen kann. In der Tat wurde mir dies aufgrund meiner Sprachkenntnisse oder einfach nur aus Mitleid später angeboten. Aber damals hatten wir alles für die Einbürgerung als Ehepartnerin eines Deutschen fertig.
Geschafft!
Nach den ganzen Jahren voller Stress, Sorge, Angst und unglaublichem Papierkram war es endlich soweit. Die Geduld hatte sich ausgezahlt: Ich bin im Februar 2019 Deutsche geworden. Endlich! Und gleichzeitig bin ich Britin geblieben. Es ist schon traurig, dass ich nicht mal ein volles Jahr doppelte EU-Staatsbürgerin sein konnte, obwohl ich mich nach wie vor so fühle.
Und wie fühle ich mich heute?
Der Tag des Brexits ist jetzt schon einige Wochen her. Auf persönlicher Ebene fühle und denke ich genau noch so wie 2016. Nur mit einem Unterschied: Ich bin eingebürgert. Meine Zukunft in Deutschland ist damit gesichert. Mich begleiten aber wegen des Brexits noch Sorgen um meine Zukunft. Denn schließlich bin ich auch noch Britin.
Einfach nach UK ziehen?
Ich bin Einzelkind. Meine Eltern und mein Ehemann besitzen unterschiedliche Pässe. Einfach mal abwechselnd in Deutschland und dem UK für ein halbes Jahr leben? Für mich ist das problemlos möglich. Spontan und so lange wie ich möchte. Aber sie dürfen das nicht. Was passiert, wenn meine Eltern pflegebedürftig werden sollten? Es kämen Papierkram und unzählige Kosten auf uns zu. Denn Einkünfte aus selbstständigen Tätigkeiten werden grundsätzlich nicht berücksichtigt. Vor allem, wenn diese in Deutschland erzielt werden. Niedrigverdiener sind dann auch betroffen, da man Einkünfte von mindestens 18.500,00 GBP nachweisen muss. Und dies nicht nur für den neuen Job, sondern auch für die vergangenen 12 Monate in Deutschland.
So einfach ist es nicht …
Laut aktuellen Angaben muss mein Konto immer mit ca. 62.500,00 GBP gefüllt sein. Das darf ich nicht anfassen – zumindest nicht, wenn ich innerhalb von sechs Monaten eventuell nach Cornwall zu meinen Eltern mit meinem Ehemann ziehen möchte. Und das gilt auch für den Fall, wenn meine Eltern pflegebedürftig werden sollten. Spätestens bei einer Änderung des britischen Immigrationsgesetzes, dem Tod beider Elternteile oder dem Wiedereintritt des Vereinigten Königreiches in die EU werde ich entlastet.
Eine Alternative gibt es schon: Ich sollte, wie eine deutsch-britische Freundin aus einer anderen Branche, die weniger Ersparnisse und ein niedrigeres Einkommen hat, die schreckliche Wahrheit einfach akzeptieren. Sie weiß jetzt schon, dass sie irgendwann die schwerste Zeit ihres Lebens eventuell alleine durchstehen muss.
Shit happens. Brexit happened.
Das Leben geht weiter. Ich werde den Kontakt zu meiner gebürtigen Heimat weiterhin halten, auch wenn es mir zum Teil schwer gemacht wird. Jetzt dreht sich die Frage nach einer möglichen Rückkehr nicht um ein „wann“, sondern um ein „ob“. Ob mein Ehemann willkommen ist? Ob die Briten eine bessere, tolerantere Regierung mit Mitgefühl und Empathie an die Macht bringen können?
Das alles kann ich momentan nicht sagen. Ich freue mich erstmal nur, hier in Berlin und deutsche Staatsbürgerin zu sein. Gemeinsam mit einem deutschen Ehemann, guten Freunden und tollen Kunden freue ich mich auf eine bessere Zukunft, etwas weiter weg vom Brexit.
An meine Freunde im UK, sowohl die gebürtigen Briten als auch Europäer und Leute aus aller Welt: Ich wünsche euch viel Kraft und Geduld. Ich unterstütze euch weiterhin aus der Ferne. Wir unterstützen euch weiterhin aus der Ferne. Wir freuen uns schon auf euren Wiedereintritt.
Presse/Links:
1. Februar 2020
Video-Interview mit rbb24
Brexit ist “done”: Zum Abschied die Europahymne
31. Januar 2020
Video-Interview mit The Local
Watch: How do Brits in the EU feel about Brexit actually happening?
31. Januar 2020
Video-Interview mit rbb24
Der Countdown läuft, Brexit – Briten in Berlin
31. Januar 2020
Interview mit rbb Abendschau
Countdown läuft, Brexit – Briten in Berlin
31. Januar 2020
Interview mit Deutschlandfunk Kultur
Zweifel an Zeitplan für Handelsabkommen
31. Januar 2020
Interview mit The Local Germany
‘I’m giving up my UK passport’: Brits in Germany share their heartbreak over Brexit day
13. Dezember 2019
Interview mit The Local Germany
‘Brexit is happening… I feel surprisingly calm’: Brits in Germany react to UK election result
1. Dezember 2019
Beigetragen: Tactical-Voting-Guide
Jon Worth’s 2019 UK General Election Tactical Voting Guide
26. November 2019
Plea from a Brit in the EU u.a. für Forward Democracy
Plea from a Brit in the EU
20. November 2019
Twitter-Video: “VOTE!”
Twitter: @RoseWroteThis
16. September 2019
Zitiert: emigrate.co.uk
Spanish media poll reveals 75 per cent of Brit expats favour cancelling Brexit
14. September 2019
Zitiert: The Olive Press
To leave or remain, British expats in Spain have their say on Brexit as B-Day looms
7. September 2019
Erstellt: Pressemitteilung und Brief an dem Botschafter
Stop the Coup Berlin: Pressemitteilung (Deutsch)
7. September 2019
Erstellt: Website für Stop the Coup Berlin
Stop the Coup Berlin
7. September 2019
Interview mit The Local Germany
‘Anxious and enraged’: Brits in Germany speak out as Brexit chaos continues
20. März 2020
BBC News: Gekürzte Version des Interviews mit BBC Scotland: „The Nine“
Brexit: The choice facing British citizens living in Germany
20. März 2019 (Upload 19. März 2020)
Interview mit BBC Scotland: „The Nine“
Brits in Germany talk to BBC Scotland about the impact of Brexit on their lives
29. März 2017
The Herts Advertiser
St Albans Remainers join national Brexit protest march in London
4. Juli 2016
Interview mit The Local Germany, zitiert bei The Independent
British expats marrying continental Europeans to remain EU citizens
4. Juli 2016
Interview mit The Local Germany, zitiert im zweiten Artikel
Vice-Chancellor calls to offer young Brits dual citizenship
1. Juli 2016
Interview mit The Local Germany
‘It won’t be romantic. But I need an EU passport’
8. Juni 2016
Interview mit der DPA, veröffentlicht bei EBL News
Auf Wiedersehen, pet? Britons in Berlin mull a post-Brexit future
Leave A Comment